Digitales Banking jenseits der Customer-Journey

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January
2023

Fehler sollten vermieden werden, wo es nur geht – gerade im Bankingbereich: Dies kann bewerkstelligt werden, indem digitale Transformationsprogramme auf der Grundlage eines ganzheitlichen Ansatzes erstellt werden – mit Fokus auf den Kundenwertstrom.

Finanzinstitute haben im Hinblick auf die digitale Transformation nach Technologie-, Medien- und Telekommunikation die zweithöchste Erfolgsquote. Allerdings verfehlen über 50 % der Finanzdienstleistungsunternehmen noch immer ihre Transformationsziele. Unsere Erfahrung mit über 100 Fällen und über 50 Kunden in den letzten fünf Jahren zeigt, dass zu viele Finanzinstitute ihre Transformationsprogramme nicht an den Bedürfnissen ihrer Kunden ausrichten: Den meisten Unternehmen, einschließlich Banken, fehlen viele notwendige digitale Voraussetzungen. 

Um ein Konto zu eröffnen, Geld zu leihen oder Unterstützung bei einer Transaktion oder Zahlung zu erhalten, fordern Kundinnen und Kunden von morgen unkomplizierte Prozesse. Banken sollten sich somit darauf spezialisieren, die Transformation anhand der Customer Journey auszurichten – dem Prozess, den Kunden folgen, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Auch wenn dieser erste gute Schritt erfolgt ist, versäumen es Banken oft, den nächsten entscheidenden Schritt zu gehen: Mehrwertaktivitäten, die erfolgreiche End-to-End-Experiences der Zielgruppe unterstützen. Dies ist unbedingt nötig, um Organisations- und Betriebsmodelle in Bezug auf Kundenwertströme neu zu gestalten und zu digitalisieren.

Eine Art der kompletten Neugestaltung ist der Wertstromansatz: Dieser umfasst alle Aktivitäten und Interaktionen, die eine Bank vom Frontend (mit Kundenkontakt) bis zum Backend (Prozessbetrieb, Risiko, Recht und Compliance, Technologie) verwalten muss. Dies kann jedoch die Organisation ebenso innerhalb ihrer Prozesse belasten, da hierbei durchweg agile Arbeitsweisen erforderlich werden, um die notwendige Geschwindigkeit und Flexibilität zu erreichen.

Banken haben somit viele Gründe, ihre digitale Transformation von Beginn an sinnvoll zu gestalten. Der „2021 Retail Banking Report“ ergab beispielsweise, dass die Online-Banking-Nutzung im Jahresvergleich um 23 % und die Mobile-Banking-Nutzung um 30 % zugenommen hat: Kunden wechseln schneller denn je zu digitalen Kanälen. Gleichzeitig sind digitale Banken und Fintech-Unternehmen auf dem Vormarsch.

Fallstudien von Banken zeigen 15 % bis 20 % Kosteneinsparungen (entweder durch Senkung der aktuellen Kostenbasis oder Vermeidung künftiger Kostensteigerungen), 20 % bis 40 % Effizienzsteigerungen und reduzierte Fehlerquoten. Somit scheinen womöglich die Ergebnisse der wichtigste Grund für die entstehende Marktmacht der Fintechs zu sein, die eine erfolgreiche digitale Transformationen möglich machen. Eine Kostensteigerung von 20 % bis 30 % lässt sich dabei ebenso feststellen wie eine erhöhte Kundenzufriedenheit und die schnellere Bereitstellung neuer Produkte und Dienstleistungen.

Dabei zeigen sich auch deutlich die Fehler vieler Banken: Beispielsweise ein zu großer Fokus auf interne Abläufe, Lösungen vor Probleme zu stellen, die Transformation als technisches Problem zu behandeln (anstatt als Chance), die Digitalisierung vor der Verbesserung des zugrunde liegenden Prozesses voranzutreiben oder das Betriebsmodell nicht weiter anzupassen. Das kann jedoch vermieden werden, indem ein ganzheitlicher Wertstromansatz verfolgt wird, der über die Costumer-Journey hinausgeht.

 

Die Banking-Customer-Journey

Eine Customer-Journey ist eine Reihe von Interaktionen, die beginnen, wenn ein Kunde ein Bedürfnis wahrnimmt, z. B. die Lösung eines Serviceproblems oder den Kauf eines Eigenheims. Sie umfasst sämtliche Entscheidungsprozesse, die die Kundschaft im Rahmen ihrer Interaktionen mit einem oder mehreren Finanzinstituten durchläuft, und wird fortgesetzt, bis das Bedürfnis erfüllt wurde. Diese Anreihung von Aktivitäten umfasst das gesamte Betriebsmodell und die Bankprozesse, einschließlich kundenunsichtbarer Funktionen wie Risiko und Compliance, Technologie, Change-Management und agile Bereitstellung: Jede Interaktion löst im Inneren der Bankorganisation eine Kettenreaktion aus, die sich über mehrere Bereiche erstreckt und sich sowohl auf Kundschaft als auch Mitarbeitende auswirkt.

In jedem größeren Geschäftszweig (Retail-Banking, Wealth-Management, KMU, Corporate-Banking) bearbeiten Bankfilialen in der Regel rund 50 Kundenkontakte. Der damit verbundene Service lässt sich folgendermaßen einteilen:

 

  1. Hilfe bei der Lösung von Problemen und Fragen der Kundschaft
  2. Unterstützung bei Eröffnung eines neuen Kontos
  3. Hilfe bei der Förderung des finanziellen Wohlbefindens
  4. Unterstützung bei Transaktionen und Zahlungen
  5. Beratung bei der Kreditaufnahme

Erfolgreiche Banken nutzen die Umstellung von einem produkt- und dienstleistungsorientierten zu einem kundenorientierten Ansatz, um ihre Fachkräfte zu motivieren, für ihr Klientel über die Grundanforderungen hinauszugehen.

Sie verstehen, dass diese Reise das gesamte Kundenerlebnis von Anfang bis Ende umfasst, und organisieren diesen Prozess so, dass alle Bedürfnisse ihrer Kundschaft auf eine Weise erfüllt werden, die ihre Perspektive widerspiegelt.

 

Kundenwertströme

Wenn Banken sich um die Digitalisierung bemühen, machen sie oft einen von vier Fehlern:

  • Sie investieren viel in die Backend-Automatisierung, was zu höheren Gewinnen führt – allerdings ist dieser Prozess teilweise langwierig: Es kostet viel Zeit, bis Kundenprobleme grundlegend gelöst, Anforderungen erfüllt oder beabsichtigte Verbesserungen erzielt wurden.
  • Sie investieren vor allem in digitale Lösungen, die sich auf das Kundenerlebnis konzentrieren und vergessen, Verbesserungen in die Systematik des Backends weiterzugeben (Prozessschritte, regulatorische Richtlinien und Risikobewertung nach Erhalt einer Kundenanwendung oder -anfrage). Obwohl dies zu einer erhöhten Kundenzufriedenheit führen kann, profitieren Banken nicht von Backend-Anpassungen und -Verbesserungen: Da es sich um einen End-to-End-Prozess handelt, können Sie nur einen begrenzten ROI erzielen.
  • Sie investieren Stück für Stück in verschiedene Silos, erhalten den Status quo in einem mehr oder weniger digitalen Zustand oder nehmen nur inkrementelle Verbesserungen vor.
  • Sie investieren in die Transformation und Modernisierung von Legacy-Technologien, beheben jedoch nicht die Diskrepanzen oder Fehlanpassungen zwischen IT und Geschäftsprozessen, was zu Einbußen im Hinblick auf die Performance führen kann.

Die Digitalisierung einer Customer-Journey von Anfang bis Ende erfordert die Entwicklung eines daten- und analysegesteuerten digitalen Erlebnisses, das personalisierte Interaktion bietet, Effizienz und Komfort gewährleistet und geringe Kosten verursacht. Basierend auf realen Szenarien wird eine solche digitalisierte Customer-Journey frühzeitig mögliche Anforderungen vorhersagen und ihnen standhalten. Dadurch entstehen neue Touchpoints mit Angeboten oder Vorschlägen aus dem gesamten Produkt-, Service- und Leistungsportfolio der Bank. Bei richtigem Management ermöglicht dies erstklassige Interaktionen, die neue Technologien und Einblicke in das Benutzerverhalten verarbeiten und über alle Kanäle hinweg für Gäste, Kunden, Agenten oder Mitarbeiter einen Mehrwert bieten. Da diese Journeys Servicekanäle und Geschäftsbereiche erweitern – was für viele Banken bedeutet, ihre Silos aufzubrechen –, erfordert ihre Digitalisierung eine Änderung der Art und Weise, wie Geschäftsprozesse organisiert sind. Infolgedessen strukturieren erfolgreiche Banken ihre Customer-Journeys auf Grundlage von Kundenwertströmen und agilen Arbeitsweisen. 

Werteströme und flexible Arbeitsweisen sind treibende Kräfte des Wandels. Insbesondere etablierte Banken sind mit eingebetteten Organisationen, festgefahrenen Silos und althergebrachten Arbeitsweisen konfrontiert, die digitale Initiativen verlangsamen und manchmal sogar blockieren. Um diese Hindernisse zu überwinden, müssen Banken ihre Digitalisierungsinitiativen stärken, indem sie funktionsübergreifende Design- und Vertriebsteams integrieren und sich gleichzeitig einen einheitlichen Überblick über bestehende und künftige Investitionen und Verbesserungspotenziale von Produkten und Dienstleistungen verschaffen. Sie können dann im Rahmen ihres Digitalisierungsprogramms auf wichtige neue Fähigkeiten wie datengesteuerte Kundeninteraktionen aufbauen und diese auf relevante Wertströme anwenden. Das Management kann den Rückstand von Digitalisierungsinitiativen nach einer objektiven und konsistenten Bewertung ihrer Erfordernis, Machbarkeit und Praktikabilität priorisieren.

Richtig organisierte Wertströme und flexible Arbeitsweisen ermöglichen Fähigkeiten und Funktionen, die im Hinblick auf Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse sowie Prozesskosten und -kontrollen optimiert sind. Das Überdenken des digitalisierten Business-Case auf der Grundlage von End-to-End-Costumer-Journeys richtet die Ressourcen der Bank in funktionsübergreifende Teams rund um die entstehenden Wertströme neu aus. Die Digitalisierungswerkzeuge – Automatisierung, künstliche Intelligenz, Lean-Operations, digitaler Vertrieb sowie Daten- und digitale Technologieplattformen – können Wertstrom für Wertstrom koordiniert eingesetzt werden, bis die Organisation und der Betrieb der Bank vollständig transformiert sind. 

Der Wertstromansatz ermöglicht Kosten- und Erfahrungsverbesserungen, die sonst nicht möglich wären. Und dieser Wert kann sich schnell stabilisieren: Beispielsweise verzeichnete der Wertstrom der unbesicherten Kreditvergabe für kleine Unternehmen bei einer asiatischen Bank Verbesserungen von 800 % bei den Anträgen, 400 % bei den Genehmigungen und 500 % bei den genehmigten Kreditlinien – und das alles auf der Grundlage der ersten MVP-Version (Minimum Viable Product). Eine andere Bank stellte fest, dass nach der Veröffentlichung des MVP der zweiten Generation eine neue App das gesamte Geschäftsvolumen ihres Vertriebs über einen Monat generierte.

 

Die Herausforderung für etablierte Banken

Viele Banken stellen fest, dass trotz der vielen Experimente und Programme, die Millionen von Dollar in digitale Technologie und Digitalisierung, Flexibilität und Automatisierung investierten, das Digitalisierungstempo immer noch zu langsam ist. Darüber hinaus war die Änderung fragmentiert und der Nutzen geringer als erwartet – mit suboptimalen Ergebnissen in Bezug auf Kundenerlebnis, Kosten, Umsatz und allgemeine Auswirkungen auf das Geschäft.

Erfolg zu haben, ist nie einfach und etablierte Finanzinstitute sind komplexe Organisationen. Außerdem ist es unheimlich schwierig, Costumer-Experiences vorauszusagen, egal wie sinnvoll ein UX-Design aufgestellt ist. In der Regel handelt es sich dabei um eine Kombination aus Kunden- und internen Wertströmen, die sich über fünf Kerninteraktionen erstrecken: Sparen und Investieren, Transaktionen, Kredite, Schutz und Service. Jede zentrale Interaktion generiert etwa 50 Customer Journeys mit etwa 300 Prozessen, die für einen reibungslosen Ablauf im Privat- und Firmenkundengeschäft erforderlich sind. Das bedeutet, dass etwa 4.000 Vorgänge erforderlich sind, um alle Kundeninteraktionen und -transaktionen bankweit zu verwalten.

„Do it right the first time!“: Es ist dringend notwendig, die Digitalisierung sinnvoll in Angriff zu nehmen. Es muss sich bewusst gemacht werden: COVID-19 hat viele Bankbeziehungen ins Internet verlagert und dort bleiben sie. Drei Viertel der Kunden nutzen regelmäßig Online- und Mobile-Banking-Kanäle, und die Zufriedenheit mit diesen Kanälen ist höher – oft deutlich höher – als mit physischen oder entfernten Kanälen wie Filialen und Kontaktzentren. Kundenerwartungen steigen aufgrund digitaler Erfahrungen, die sie bereits mit Unternehmen in anderen Branchen gemacht haben weiterhin schnell. Egal ob B2C- oder B2B-Kundschaft: Menschen erwarten eine personalisierte Behandlung, nahtlose Omnichannel-Interaktionen und konsistente Antworten über alle Kanäle hinweg, jederzeit und überall.

Um ein Fazit zu ziehen: Kundinnen und Kunden benötigen Finanzdienstleistungen – allerdings keine Banken. Wie bereits erwähnt, fordert die Verlagerung von Privat- und Geschäftskunden ins Internet zunehmend die Position der Banken an der Schnittstelle zwischen Kunden und Finanzdienstleistern heraus. Es entsteht eine differenzierte Branchenlandschaft, in der verschiedene Akteure auf allen Ebenen miteinander konkurrieren. Laut Statista hat sich die Zahl der globalen Fintech-Startups zwischen 2019 und November 2021 mehr als verdoppelt: „Aufständische“ Nichtbanken gewinnen im Vertrieb an Boden und drohen mit der Massenproduktion vieler Bankprodukte – traditionelle Banken laufen Gefahr, ihre Kundschaft an andere Bankingmodelle zu verlieren.

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